Nichts als Tanzen
John Neumeiers Hamburg Balett
Das Hamburg Ballett unter der Leitung von John Neumeier zählt zu den besten und beliebtesten Compagnien weltweit. Unter den Solisten ist nur ein Deutscher, die Compagnie ist international besetzt. Wer hier tanzt, gehört zur Ballettelite und tritt mehrfach im Jahr auf den großen Bühnen dieser Welt auf. Und trainiert bis zu sieben Tage in der Woche, verdient nicht gerade üppig, hat ständig Schmerzen, Verletzungen, nur einmal im Jahr Urlaub und kaum Privatleben.
Der Film „Nichts als Tanzen“ geht der Frage nach: „Warum machen die das? Warum nehmen Tänzer das alles in Kauf?“
Eine Minute bis zum Auftritt. Auf der großen Bühne der Hamburger Staatsoper ist kein Geräusch zu hören, nur das leise Knatschen der Ballettschuhe. Techniker schleichen mit Headseats über die Bühne, auf die Anweisungen des Inspizienten wartend. Die Erste Solistin Joelle Boulogne hat ihren zarten Oberkörper in einen Schal gewickelt und geht eine Schrittkombination durch. Ihr Tanzpartner Sascha Riabko probt eine Drehung. Dreißig Sekunden, bis der eiserne Vorhang sich öffnet. John Neumeier umarmt seine Tänzer. Wünscht ihnen viel Glück für die Premiere.
Joelle Boulogne ist die älteste Tänzerin der Compagnie. Sie weiß, dass sie bald ihre Karriere beenden muss. Joelles Lebensgefährte, ein Koch in Südfrankreich, sieht sich bereits nach einem Haus auf dem Lande um, wo auch Joelles Familie lebt. Gleichzeitig träumt Joelle aber davon, irgendwann als Ballettmeisterin für die Compagnie zu arbeiten – und in Hamburg zu bleiben. „Ich habe Angst vor diesem Leben ohne Tanz. Vor einer großen Leere, die dann eintreten wird“, sagt sie.
Einer, der noch alles vor sich hat, ist Paul, Schüler der Neumeier-Ballettschule. Um jeden Tag gleich nach der Schule trainieren zu können, ist der 11-jährige ins schuleigene Internat gezogen. Seine Eltern sieht er nur an den Wochenenden. Aber auch nur, wenn nicht gerade eine Aufführung ist. Für Paul steht fest: er will Tänzer werden.
Pauls Mitschülerin Alicia macht regelmäßig ihre Hausaufgaben im Auto auf der Fahrt zum Training und verzichtet wegen des Balletttrainings auf Freizeit und Freunde.
Die Stars des Hamburg Balletts, Silvia Azzoni und Sascha Riabko versuchen hingegen, eine Familie zu gründen. Bisher erfolglos. Auch sie spüren ihr Alter immer öfter. Nasenbrüche, Sehnenrisse und Bänderdehnungen gehören mittlerweile zu ihrem Alltag. Silvia möchte am liebsten beides vereinbaren: Große Hauptrollen tanzen und Mutter sein. Sie ahnt aber, dass sie auf einen Teil ihres Traumes wird verzichten müssen.
„Nichts als Tanzen“ – ein Film über das Innenleben einer der bedeutensten Ballettcompagnien der Welt. Die Regisseurin Bettina Pohlmann zeigt die Tänzer kurz vor ihrem Auftritt, bei der intensiven Probenarbeit in Hamburg, begleitet die Compagnie auf einer Tournee nach Peking und konnte auch die sehr seltenen privaten Momente beobachten. Kameramann ist Marcus Winterbauer („Rhythm is it!", „Full Metal Village“, „Herbstgold“), dem es gelingt, die Bewegungen der Tänzer so einzufangen, als würde die Kamera mitschweben.
„Nichts als Tanzen“ ist jedoch kein reiner Tanzfilm, sondern auch ein Film über die eigene Sehnsucht und die Suche nach dem persönlichen Glück. Zwischen Glück und Schmerz liegt bei diesem Leben nur ein Schritt. Der Film ist zugleich eine Metapher auf das Leben: Die eine tritt bald ab, „geht in Rente“, der andere versucht, kindlich zaghaft und doch voller Energie, in diese Fußstapfen zu treten.
Pressestimmen
Bettina Pohlmann fing bezaubernde, auch authentische Bilder aus dem Reich des Choreographen und Intendanten John Neumeier ein: Kinder beim Tanzunterricht, Ballerinen beim Benähen ihrer Schuhe, schimpfende Ballettmeister bei den Proben. Auch die Aufregung vor einer Vorstellung war mitzufühlen. Sogar eine reale Liebesgeschichte enthält die Doku: Die Eheleute Silvia Azzoni und Alexandre Riabko, beides Stars der hehren Kunst, erzählen kichernd von ihrer ersten gemeinsamen Probe. .
Junge Welt
Bettina Pohlmanns Dokumentation „Nichts· als Tanzen – John Neumeiers Hamburg Ballett“ ist ein Ereignis. Im nächsten Frühjahr wird der neunzig Minuten lange Film in die Kinos kommen. Doch bereits die um vierzig Minuten kürzere Version, die Arte nun erstmals ausstrahlt,überzeugt durch die kluge Unaufgeregtheit, mit der Nachrichten aus der weitgehend unbekannten, faszinierenden Welt der Tänzer übermittelt werden. .
Wiebke Hüster, FAZ
Buch und Regie: Bettina Pohlmann
Kamera: Marcus Winterbauer
Zusätzliche Kamera: Boris Mahlau, Karsten Hohmann, Julia Guggenberger, Christian Ullmann
Ton: Patrick Veigel
Zusätzlicher Ton: Florian Niederleithinger, Ulla Kösterke
Schnitt: Renate Ober
Bildbearbeitung: Oliver Stammel
Mischung: Pierre Brand
Produzenten: Jens Fintelmann, Thomas Seekamp
Produktionsleitung: Wolfgang Kramer (NDR), Hubert Marady
Redaktion: Claudia Cellarius, Barbara Denz
Leitung: Ulrike Dotzer
52 Min. arte/NDR 2010 - 2011
Gefördert von der "Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein"